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29/03/2022

Apotheken sind für Cannabis-Patienten ein kompetenter Partner

#Cannabis

Apotheken sind für Cannabis-Patienten ein kompetenter
Partner
Interview von Ethypharm mit Florian Heimann, Apotheker und Leiter der
Apotheke LUX 99 in Hürth, Februar 2022
Wie hat sich das Verschreibungsvolumen für medizinisches Cannabis in den letzten
Monaten oder Jahren entwickelt?
Die Gesetzesänderung, wonach cannabishaltige Arzneimittel verschrieben werden können,
erfolgte in Deutschland im Jahr 2017. Die Zahl der Verschreibungen und das
Kundenaufkommen für medizinisches Cannabis in den Apotheken sind seither stetig
gestiegen. Das Wachstum in den Jahren 2018 bis 2020 war sicherlich stärker als im Jahr
2021. Der Markt wächst immer noch, aber deutlich langsamer. Es gibt Vergleiche zu anderen
Ländern, in denen erfahrungsgemäß 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung von cannabishaltigen
Arzneimitteln profitieren können. In Deutschland wären das etwa 1.000.000 Patienten.
Tatsächlich sind wir aber erst bei 150.000 bis 200.000 Patienten.
2017 wurde mit der Gesetzesänderung politisch ein Medikament oder eine Therapieoption
auf den Markt gebracht. Dieser Schritt kam für etliche Ärzte sicherlich überraschend, sodass
sie sich nicht darauf vorbereiten konnten. Viele Kongresse und neue Studien füllen nun diese
Lücke. Viele Ärzte sind an einer gezielten Fortbildung interessiert. Aber es gibt auch immer
noch Ärzte und Apotheker, die sie ablehnen.
Welchen Einfluss wird die neue Regierung auf den medizinischen Cannabismarkt haben?
Im Hinblick auf die neue Regierung, die eine Legalisierung von Cannabis als Genussmittel in
Ihren Koaltisationsvertrag aufgenommen hat, gehe ich davon aus, dass dies in dieser
Legeslaturperiode auch umgesetzt wird. Wie und wann, ist natürlich noch offen. Diskutiert
wird derzeit die Möglichkeit der Abgabe von Cannabis in Apotheken und/oder aber auch in
lizenzierten Geschäften. Da stellt sich für mich die Frage, welche Art von Lizenz oder
Qualifikation das sein wird. Grundsätzlich haben Apotheken in den letzten Jahren viel
Erfahrung sammeln können. THC und CBD sind potente Substanzen, die aber auch sehr
beratungsintensiv sind. Wenn der Gesetzgeber eine Gesundheitsschutzberatung auch bei
der Verwendung als Genussmittel vorsieht, sind Apotheken hier natürlich ein kompetenter
Partner.
Ich sehe auch die Unterscheidung zwischen medizinischem Gebrauch und Freizeitkonsum.
Bei der medizinischen Verwendung von Cannabis ist das Ziel des Patienten, alltagstauglich zu
werden, mehr Lebensqualität zu bekommen, die negativen Symptome der Behandlung
seiner Krankheit in den Griff zu bekommen. Beim Freizeitkonsum wird Cannabis zu einem
Genussmittel oder auch Lifestyle Produkt. Für mich sind das zwei völlig unterschiedliche
Ziele. Ich würde mir wünschen, dass in der Politik, auch nach der Legalisierung, diese als zwei
unterschiedliche Bereiche gesehen werden.
Welche Rolle hat die Apotheke bei medizinischem Cannabis in der Interaktion mit dem
Arzt und dem Patienten übernommen?
Grundsätzlich freut es mich, dass die Apotheke eine so große Rolle bei der Betreuung und
Versorgung von Cannabis-Patienten spielt. Eigentlich besteht unsere Rolle hier aus dem
ursprünglichen Berufsbild des Apothekers, nämlich aus einer auf Rezept verordneten
Heilpflanze ein individuelles Medikament herzustellen. Die Erfahrungen, die wir bei der
Beratung und Betreuung von Patienten machen, geben wir in Beratungsgesprächen weiter.
Wir führen jeden Monat viele hundert Beratungsgespräche zum Thema medizinisches
Cannabis. Dieser Erfahrungsschatz, den wir haben, ist vielleicht größer als der eines nicht
spezialisierten Arztes. Er ist unser wertvollstes Kapital, das wir intern an neue Mitarbeiter
weitergeben und in der Beratung von Ärzten und Patienten zur Verfügung stellen. Da es
noch nicht genügend Daten und Leitlinien gibt, können wir unsere Erfahrungen bei der Wahl
der Darreichungsform, ob inhalativ oder oral, der Dosisfindung, den Nebenwirkungen und
Kontraindikationen, den bürokratischen Hürden und vielem mehr einbringen.
Sind die Patienten, die zu Ihnen kommen, gut informiert?
Es gibt nicht den Patienten, den ich hier beschreiben könnte. Aber gerade bei Cannabis
haben wir es oft mit Patienten zu tun, die viel darüber wissen, weil sie durch die Umstände
gezwungen waren, ihre Beschwerden durch den privaten Gebrauch von Cannabis zu
behandeln. Dadurch haben sie Vorerfahrungen gesammelt. So hatten sie vor allem vor 2017
sicherlich mehr Informationen über die Verwendung und Dosierung von Cannabis als wir in
der Apotheke oder als die Ärzte.
Wir haben auch Patienten, die sich mit Cannabis überhaupt nicht auskennen, aber schon seit
vielen Jahren eine Verbesserung ihrer Lebensqualität suchen. Diese Personen haben
meistens eine lange Leidensgeschichte hinter sich und haben durch die Medienpräsenz
dieses Themas die Hoffnung, dass Cannabis helfen kann. Die Patienten kommen mit vielen
Fragen. Das Stigma, mit dem die Patienten bei der Verwendung von Cannabis konfrontiert
sind, ist ein Thema. Ein anderes Thema ist die Angst der Patienten, die keine Erfahrung damit
haben und sich fragen, was sie sich und ihrem Körper jetzt antun.
Hat sich die Pandemie auf die Verschreibungs- und Lieferbedingungen ausgewirkt?
Aus unserer Erfahrung heraus kann ich das nicht so sehr bestätigen. Die Zustellung durch
unsere Botenfahrer hat zugenommen, die Patienten sind eher zu Hause geblieben. Durch die
Corona-Situation hat sich die Lieferfähigkeit nicht verschlechtert. Es mag sein, dass die
offiziellen Verfahren für die Hersteller wegen Corona langsamer sind, aber das glaube ich
auch nicht wirklich. Es hat eher etwas mit dem hohen Volumen zu tun, denn es kommen
immer mehr Hersteller auf den Markt. Es kann durchaus sein, dass dadurch die Räder etwas
langsamer laufen. Vielleicht noch ergänzend: Wir haben natürlich viele Patienten, die eine
schwere Erkrankung haben und damit auch zu den Risikopatienten gehören, was eine
Corona-Infektion angeht. Für die war es natürlich eine ganz neue Herausforderung, sich
Gedanken darüber zu machen, wie man den nächsten Praxisbesuch oder die
Folgeverordnung organisiert. Hier war ein spürbarer Leidensdruck vorhanden.
Erleben Sie eine positive Wirkung bei Patienten durch die Einnahme von medizinischem
Cannabis?
Cannabis ist keine Wundermedizin. Niemand würde behaupten, dass es bei jeder Indikation
hilft. In der Apotheke bekommen wir überwiegend Rückmeldungen von Patienten, die mit
der Cannabis-Therapie Erfolg hatten. Über diese Gespräche freuen wir uns, das sind
Geschichten über lange Leidensgeschichten und über Therapieerfolge mit medizinischem
Cannabis, die den Menschen eine bessere Lebensqualität gebracht haben. Aber daraus zu
schließen, dass dies bei jedem Patienten funktioniert, ist natürlich nicht der Fall. Aber wir
bekommen diese Rückmeldung eher bei Therapieerfolgen als bei Therapieabbrüchen.
Trotzdem bekommen wir auch häufiger zu hören: Ja, es hat mir geholfen, aber ich habe
diese und jene Nebenwirkung. Dann können wir mit unserer Erfahrung helfen und vielleicht
einen Wechsel des Präparats, eine andere Dosierung oder Darreichungsform empfehlen.
Haben Sie Erfahrungen mit Missbrauch oder Versuchen, sich medizinisches Cannabis illegal
zu beschaffen?
Ich denke, dass es bei vielen Medikamenten Missbrauch gibt. Es gibt wahrscheinlich keine
Möglichkeit, ihn zu verhindern. Das fängt bei Nasensprays, Schmerzmitteln, Schlaftabletten
usw. an. Diesen Missbrauch gibt es sicherlich auch bei Cannabis. Deshalb möchte ich die
Rolle der Ärzte bei der Beurteilung des Nutzens von medizinischem Cannabis gestärkt sehen,
denn sie haben die beste Möglichkeit und das beste Wissen, um ihre eigenen Patienten zu
beurteilen und zu entscheiden, ob Cannabis medizinisch notwendig und ob ein
therapeutischer Erfolg zu erhoffen ist. Sie sollen die Therapiehoheit wie bei anderen
Behandlungen haben.
Bei der Einführung des Cannabisgesetzes im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass
die Krankenkassen die Therapiekosten übernehmen sollen, wenn die Patienten medizinisch
austherapiert sind und ein Therapieerfolg mit medizinischem Cannabis zu erwarten ist. Nur
in begründeten Ausnahmefällen dürfen sie diese verweigern. Derzeit liegt die Quote der
Ausnahmefälle bei etwa 35-40 Prozent. Das widerspricht ein wenig der ursprünglichen
Intention. Denn die Ausnahmefälle können nicht 35 bis 40 Prozent betragen. Mit anderen
Worten: Wo ist bei der Beurteilung etwas schief gelaufen? Liegt es an formalen Fehlern, an
der Fehleinschätzung seitens der Krankenkasse? Letztlich hat das für die Patienten sehr
unangenehme Folgen, sowohl finanziell als auch krankheitsbedingt.
Ob falsche Angaben von Patienten eine große Rolle spielen, kann ich nicht beurteilen. Nach
unseren Erfahrungen mit unseren Patienten ist der Missbrauch gefühlt gleich Null. Wenn ich
mir die Lebens- und Leidensgeschichten der Patienten anhöre, möchte ich nicht mit ihnen
tauschen und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich das jetzt ausdenken, um Cannabis
als Genussmittel zu bekommen. Vielmehr müssen sich die Patienten der Stigmatisierung
stellen und sich in Situationen rechtfertigen, in denen sie ihr Medikament einnehmen.
Allein im Bereich der Blüten gibt es rund 80 verschiedene Anbieter und mindestens ebenso
viele Sorten. Ist das noch sinnvoll?
Einerseits sind wir froh, dass wir so viele Wahlmöglichkeiten für die Patienten haben. Blüten
sind sicherlich individueller und nicht so leicht miteinander vergleichbar wie standardisierte
Extrakte. Aber auf der anderen Seite könnte dieser unübersichtliche Markt auch Ärzte und
Apotheken verunsichern. Wie viele verschiedene Blütensorten brauche ich für welchen
Patiententyp? Dazu haben wir noch keine ausreichenden Erfahrungen. Für uns als
spezialisierte Apotheke ist diese grosse Anzahl sicherlich eine Herrausforderung im Einkauf.
Grundsätzlich wollen wir jedes lieferfähige cannabinoidhaltige Arzneimittel an Lager haben.
Es ist aber auch herrausfordernd, wenn alle zwei Monate neue Hersteller auf den Markt
kommen. Ich bin gespannt, ob es in drei bis fünf Jahren noch genau so viele
Marktteilnehmer gibt.
Eine Verschreibung ist immer namentlich mit dem Produkt verbunden. Es kommt nicht auf
den THC-Wert oder den CBD-Wert an, denn dann dürfte ich als Apotheker die Blüte
aussuchen. Das macht auch Sinn, denn wenn wir uns die Pflanzen genauer ansehen, haben
wir nicht nur THC und CBD als Inhaltsstoffe, sondern auch andere Cannabinoide und
Terpene. Eine Pflanzengenetik unterscheidet sich definitiv von einer anderen Genetik in den
Inhaltsstoffen der Cannabinoide und Terpene. Diese unterschiedliche Genetik kann auch
unterschiedliche Wirkungen bei einem Patienten hervorrufen, selbst wenn der THC- oder
CBD-Gehalt derselbe ist. Daher ist es auch sinnvoll, dass es sich um eine individuelle
Verordnung handelt und dass, wenn der Arzt eine bestimmte Sorte verschreibt, auch nur
diese abgegeben werden darf. Der Verordner sollte sich darüber im Klaren sein, dass
verschiedene Sorten unterschiedliche Wirkungen hervorrufen können und dass er am
Anfang vielleicht etwas länger braucht, um die richtige Sorte für den Patienten zu finden. Es
wäre falsch zu sagen, wir haben das jetzt einmal mit der Sorte probiert, es funktioniert nicht,
also ist medizinisches Cannabis nicht das Richtige. Letztlich geht es darum, aus einem großen
Portfolio das richtige Medikament für den einzelnen Patienten zu finden, wie es ja auch zum
Beispiel bei Bluthochdruckmitteln der Fall ist.

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